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Hinter verschlossenen Türen

Häusliche Gewalt hat viele Gesichter

Gemäss Istanbul-Konvention* bezeichnet der Begriff «häusliche Gewalt» alle Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer oder wirtschaftlicher Gewalt, die innerhalb der Familie, des Haushalts oder zwischen früheren und derzeitigen Partnerinnen beziehungsweise Partnern vorkommen.

*ein 2011 ausgearbeiteter völkerrechtlicher Vertrag des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt

Fakten zu häuslicher Gewalt in der Schweiz

Fakten

#1

Alle zwei Wochen stirbt eine Person infolge häuslicher Gewalt; durchschnittlich 25 Personen pro Jahr, davon 4 Kinder (2009-2018).

#2

Opfer von versuchten und vollendeten Tötungsdelikten in den Jahren 2009-2018 waren: 471 Frauen (62,6 %), 191 Männer (25,4 %) und 90 Kinder (12 %).

#3

Sexualdelikte in Verbindung mit häuslicher Gewalt wurden 393 sexuelle Handlungen mit Kindern, 246 Vergewaltigungen und 193 sexuelle Nötigungen verzeichnet.

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Wenn das eigene Zuhause nicht mehr sicher ist

Häusliche Gewalt betrifft jeden. Denn weltweit erlebt jede dritte Frau Gewalt in den eigenen vier Wänden. Menschen jedes Geschlechts, jeder Nationalität, jeden Alters, jeder Bildungsstufe, Kultur und Religion sind betroffen.

 

Also nein. Es passiert nicht einfach einer oder einem anderen. Diese oder dieser eine könnte deine Mutter, dein Onkel, deine zukünftige Tochter oder du selbst sein.

 

Sprich deshalb darüber und steuere so deinen Teil bei, Gewalt zu stoppen.

Ursachen

Ursachen häuslicher Gewalt

Es gibt sie nicht, die eine Ursache weshalb jemand gewalttätig wird. Viele verschiedene Kombinationen und Risikofaktoren spielen dabei eine Rolle.

 

Seien es beispielsweise Erfahrungen aus der Kindheit, das eigene soziale Umfeld, ein geringes Einfühlungsvermögen oder eine mangelnde Konfliktfähigkeit. Dies sind alles Aspekte, die zu einer erhöhten Aggressivität führen können.

 

Häusliche Gewalt kann als Mittel dienen, um Kontrolle gegenüber dem Opfer zu erlangen. Zudem dienen die Gewaltakte oftmals als Demonstration der eigenen Machtposition. Häufige Auslöser von häuslicher Gewalt sind Eifersucht sowie Besitz- und Dominanzanspruch.

Alkohol und Drogen

Alkoholmissbrauch kann ebenfalls einen Einfluss auf häusliche Gewalt haben. Der Konsum von Alkohol und Drogen senkt die Hemmschwelle, das Einschätzungsvermögen sowie die Fähigkeit zur Konfliktbewältigung.

 

Alkohol hat zudem einen Einfluss auf die Gefühlskontrolle. So wird das Risiko für Gewalt gesteigert. Laut dem Bundesamt für Gesundheit haben Täter, die eine Gewaltberatungsstelle aufsuchen häufig nicht nur ein Gewalt- sondern auch ein Drogenproblem.

 

Auf jedes vierte Paar trifft die Aussage zu, dass sich das Gewaltverhalten in Zusammenhang mit einem übermässigen Alkoholkonsum ereignet.

Gewaltspirale

Die Gewaltspirale

Das Auftreten von häuslicher Gewalt verläuft meist zyklisch. Die sogenannte Gewaltspirale kann in vier Phasen eingeteilt werden:

01

Spannungsaufbau

In der ersten Phase versucht das Opfer den Täter zu beschwichtigen, fügt sich und versucht Gewalttätigkeiten zu verhindern. Der Täter lässt sich zu Beginn teilweise besänftigen, schlussendlich kommt es aber trotzdem zu Gewalteskalationen.

02

Gewaltausbruch

Opfer reagieren während eines Gewaltausbruchs unterschiedlich. Manche lassen die Misshandlungen über sich ergehen, andere wehren sich aktiv oder fliehen. Oftmals lösen die Gewaltakte Todesängste und eine absolute Hilflosigkeit aus.

03

Latenzphase

Nach der Misshandlung zeigt der/die Gewaltausübende häufig Reue für seine/ihre Tat. Die Person verspricht sich zu ändern und bittet um Verzeihung. Viele Opfer hoffen auf diese Versprechen, verdrängen das Geschehene und verharmlosen die erlittene Gewalt.

04

Abschieben der Verantwortung

Auf der Suche nach einem Grund für die Gewalteskalation schieben viele Tatpersonen ihre Schuld und Verantwortung auf andere ab. Seien es Probleme bei der Arbeit, ein übermässiger Alkoholkonsum oder der/die Partner/in. Viele Opfer geben sich deshalb selbst die Schuld am Geschehenen.

Folgen von Gewalt

Wenn aus Liebe Gewalt wird

Zu Beginn der Beziehung scheint alles perfekt zu sein. Die Liebe überschattet die Gewaltakte und die emotionale Bindung zwischen Opfer und Tatperson ist gross. In einer Gewaltbeziehung besteht jedoch ein asymmetrisches Verhältnis zwischen den Partnern. Eine Person erhält somit Dominanz und Kontrolle über die andere.

 

Wie in der Gewaltspirale beschrieben, spielt die Tatperson diese gekonnt aus. Sie beteuert, dass Gewaltausbrüche nicht mehr vorkommen würden und glaubt zu diesem Zeitpunkt auch selbst daran. Die Vorfälle häuslicher Gewalt nehmen immer mehr zu und manifestieren sich. Die Phasen werden immer kürzer und die Aggressionen werden stärker.

Als Kind Zeuge zu sein, bedeutet auch Opfer zu sein

Erlernt ein Kind in Konfliktsituationen mit Gewalt zu reagieren, wirkt sich dies ebenfalls auf den späteren Umgang mit seinen Mitmenschen aus. So werden Jungen im Erwachsenenalter häufiger handgreiflicher, währenddessen Mädchen sich für einen gewalttätigen Partner entscheiden.

Schicksale

Schicksale

Adriano
Türe Adriano

ADRIANO, 59

Lange Zeit behielt ich meine eigene Geschichte für mich. Gefühle und Erinnerungsfetzen aus dieser schlimmen Zeit verdrängte ich. Ich vergass das Geschehene beinahe, so gut war ich darin, meinen Verstand zu täuschen.

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Für immer kann man solche traumatischen Erlebnisse dann aber doch nicht unterdrücken. Nach 40 Jahren erzählte ich meiner Familie von meiner Kindheit. Das erneute Aufleben der Misshandlungen war für mich schwer zu verarbeiten. Es flossen sehr viele Tränen, wir sprachen viel und ich holte mir daraufhin Hilfe bei einer aussenstehenden Person - einem Psychiater. Ich habe bis heute noch nicht alles verarbeitet und beginne mich jetzt langsam mit meiner Vergangenheit auseinanderzusetzen.

 

In meinem Elternhaus wurden meine Geschwister und ich von meinem Vater misshandelt. Wegen alltäglichen Lappalien schlug er uns mit seinem Gürtel. Wir versuchten, uns zu verstecken, doch es brachte nichts. Wenn wir Glück hatten, erhielten wir die mildeste Strafe - Ohrfeigen und Gürtelschläge. Die Wutausbrüche meines Vaters nahmen immer grössere Ausmasse an und ereigneten sich in der schlimmsten Zeit täglich.

 

Nebst den Schlägen goss er uns heisses Wachs über die Hände. Den Geruch von verbrannter Haut werde ich nie mehr vergessen. Ich hatte damals höllische Schmerzen.

 

Der schlimmste Vorfall, welcher mir jahrelange Albträume bereitete, war ein Wutausbruch meines Vaters gegenüber meiner Mutter. Ich musste zusehen, wie er sie packte, ihr die Kleider vom Leib riss und beinahe vergewaltigte. Manchmal gab es auch nichts zu essen. Wir hatten wenig Geld und mussten oft unten durch. Natürlich durften wir niemandem davon erzählen, ansonsten wurde uns mit Prügel gedroht. Wir wurden so gewissermassen einer Gehirnwäsche unterzogen.

 

Ich leide heute noch an den Folgen von damals - auch wenn ich kein Kind mehr bin und meine Eltern tot sind. Schlaflose Nächte, Angstzustände und Vertrauensprobleme habe ich bis heute.

Palita

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Max
Türe Max

MAX, 36

Früher wurde ich selten von meinem Vater geschlagen. Er schlug mich in Situationen, in denen ich nicht die geforderte Leistung erbrachte. Hatte ich beispielsweise eine Deutsch-prüfung in der Schule vermasselt, wusste ich, was zu Hause auf mich warten würde.

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Er schimpfte auf mich ein und ohrfeigte mich. In diesen Momenten fühlte sich die Reaktion meines Vaters berechtigt an. Er war mein Vorbild und ich sah zu ihm auf. Nach all den Jahren weiss ich jedoch, dass dies eine unangebrachte Massnahme war. Ich habe selbst Kinder und würde sie niemals schlagen. Ich habe aus den Fehlern meines Vaters gelernt - Gewalt sollte nie eine Lösung sein.

 

Auch eine meiner Exfreundinnen wurde von ihrem Vater geschlagen. Sie wurde manchmal so heftig verprügelt, dass sie an mehreren Stellen blutete. Die aggressiven Ausfälle ihres Vaters wurden immer schlimmer. Ich konnte nicht mit ansehen, wie er sie misshandelte und sie es stillschweigend über sich ergehen liess. Ich riet meiner Freundin zur Polizei zu gehen. Und trotzdem frass sie allen Frust in sich hinein und wollte nicht auf mich hören.

 

Es kam soweit, dass sie begann ihre aufgestaute Wut an mir auszulassen. Sie spuckte mich mehrmals an, schrie hysterisch und gab mir die Schuld an allem. Ich befand mich wieder in der gleichen Situation wie damals. Ein von mir geliebter Mensch lässt seine Frustrationen an mir aus. Es war ein Domino-Effekt, der die Gewalttaten auslöste. Ein Stein brachte den nächsten zu Fall.

Von Freunden und Bekannten habe ich schon viele Geschichten über häusliche Gewalt gehört. Viele wissen davon, doch keiner spricht offen darüber.

Jürg

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Sara

Als ich meinen Freund kennenlernte, ging alles ganz schnell. Die Signale waren eigentlich von Anfang an da. Aber die Beziehung war so engmaschig, dass ich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sah.

goldener Käfig

SARA, 22

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Ich hatte mich erst kurz zuvor entschieden, vor der Ehe keine sexuellen Beziehungen mehr einzugehen. Ich hatte davor schon schlechte Erfahrungen gemacht und wollte einen Neuanfang. Er drängte mich aber schon am ersten Abend zum Geschlechtsverkehr. Ich war damals emotional sehr labil. Aus diesem Grund nahm ich viele seiner Anschuldigungen sehr ernst. Er nutzte meine Vergangenheit aus, um mich schlecht dastehen zu lassen.

 

Ständig kritisierte er, ich würde Typen hinterher schauen und schnauzte mich an, wenn ich ihm beim Reden nicht in die Augen sah. Er wollte, dass wir uns unter der Woche mehr sehen, als ich es terminlich vereinbaren konnte. Er arbeitete 6 bis 7 Tage pro Woche, ich 6. Deshalb übernachtete ich häufig bei ihm. Ich hatte Schlafentzug, weil ich fast jede Nacht mit ihm schlafen musste. Sonst schrie er mich an oder machte mir eine grosse Szene.

 

Er fing immer wegen Kleinigkeiten an mit mir zu streiten. Das raubte mir so sehr die Kraft, dass ich mich automatisch nicht mehr dagegen wehrte, nur um ein bisschen Ruhe zu haben. Er drohte mir im Verlauf der Beziehung mit dem Tod und war extrem neidisch. Sich selbst stellte er immer als super dar. Andererseits war er auch sehr hilfreich und aufmerksam. Deshalb war es so schwierig.

 

Von aussen würde man denken, dass es offensichtlich ist, aber das Absurde bei solchen Menschen ist, dass sie beides, das Böse und Gute, sehr authentisch verkörpern und zumindest im Moment auch ernst meinen. Deshalb war es für mich sehr schwer von ihm wegzukommen. Die guten Dinge sind übermässig gut und die Todesdrohungen ebenso ernst zu nehmen. Man lebt gewissermassen in einem goldenen Käfig.

 

Zum Glück waren mir meine Freundschaften immer sehr wichtig, weshalb ich mich nicht habe isolieren lassen und das trieb ihn fast in den Wahnsinn. Mir rettete es allerdings am Ende das Leben. Eines nachts konnte ich nämlich nicht schlafen. Die ganze Wut über mein Unvermögen mich zu wehren, hatte sich angestaut. Ich wollte ihn am liebsten töten. Da realisierte ich erst, wie das Ganze aus den Fugen geraten war. Ich bin ein sehr friedliebender Mensch. Jemandem etwas anzutun, vor allem meinem Partner, das war nicht mehr ich.

 

Die Angst um mein Leben und das Gefühl von kompletter Machtlosigkeit, waren der Auslöser dafür, dass ich mir Hilfe geholt habe. Die Hilfsstelle, zu welcher ich ging, brachte mich sofort mit den richtigen Leuten, der Polizei, in Verbindung. Die Polizei und auch die Staatsanwältin waren sehr hilfsbereit und einfühlsam. Ich war positiv überrascht und hatte mit mehr Gegenfragen und Kritik gerechnet. 

Sven
Isabelle
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ISABELLE, 23

Ich erinnere mich nicht gern an diese Zeit zurück.

Mein Ex-Freund war stark alkoholabhängig. Wenn er zu viel getrunken hatte, wurde er mir gegenüber handgreiflich und beleidigte mich verbal. Ich versuchte ihn immer wieder zu beruhigen, sagte laut "Stopp!" und bat ihn aufzuhören. Ich hatte Angst vor ihm.

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Auf einmal realisierte er, wie schlimm sein Ausbruch mir gegenüber war und schlug auf sich selbst ein. Als ich ihn dabei hindern wollte, schlug er mir mehrmals ins Gesicht. Meine Nase begann zu bluten und ich hatte eine aufgeplatzte Lippe. 

 

Dieser Vorfall war keine einmalige Angelegenheit. Nach diesem Abend war mir aber endlich klar, dass sich etwas ändern musste. Er war schon zu Beginn unserer Beziehung oftmals grundlos eifersüchtig. Die kleinsten Dinge provozierten ihn. Er mochte weder meine Familie noch irgendjemanden aus meinem Freundeskreis. Es kam soweit, dass er mir den Kontakt zu meinen männlichen Freunden verbot. 

 

Er wollte immer besser sein, hatte grosse Ansprüche auf Dominanz. Er demonstrierte seine Männlichkeit, indem er mir das Gefühl gab, er sei mehr wert als ich. Ich befand mich unter seiner ständigen Kontrolle. Er sah täglich mein Handy durch und stellte sicher, dass ich mit niemand anderem zu viel Kontakt hatte, besonders mit keinen Männern schrieb. Ich war völlig isoliert. Irgendwann sagte ich ihm, dass er eine Therapie machen müsste, um sein Alkoholproblem in den Griff zu bekommen. Ich drohte ihm, die Beziehung ansonsten zu beenden. 

 

Zu einem Therapeuten ging er dann auch. Von da an besserte sich sein aggressives Verhalten mir gegenüber. Er wurde nie mehr körperlich gewalttätig, weiterhin jedoch verbal und psychisch. Ich habe mich jetzt bereits seit längerem von ihm getrennt, weil ich die Beziehung nicht mehr aushielt. Ich glaube vor allem weil ich die Angst vor ihm nie wirklich ablegen konnte.

Anlaufstellen
Regentropfen

WAS TUN BEI HÄUSLICHER GEWALT?

Opfer haben Rechte

Als Opfer hast du Rechte. Du hast das Recht, eine Trennung zu verlangen. Du hast das Recht, die Wohnung zu verlassen. Du hast das Recht, rechtliche Schritte gegenüber deinem Täter einzufordern. Denn Gewalt ist gesetzlich verboten.

Gewalttaten werden nur strafrechtlich verfolgt, sobald ein Strafantrag gestellt wird. Sprich deshalb darüber. Such dir Hilfe in deinem Umfeld, bei einer Beratungsstelle und/oder der Polizei.

Opferhilfe

Ist dir etwas Schlimmes passiert und du weisst nicht was du jetzt machen sollst? Dann bist du bei der Opferhilfe richtig. Angezeigt werden die Opferhilfe Beratungsstellen im gewünschten Kanton.

Opferhilfe Schweiz
Polizei

Unsere Gesellschaft toleriert keine Form von Gewalt – auch zu Hause innerhalb der Familie nicht. Schutz vor Gewalt ist ein Recht, das auch zu Hause gilt. Bei Kenntnis muss die Polizei ermitteln.

Polizei
Fachstelle Häusliche Gewalt

Häusliche Gewalt ist keine Privatsache. Das Amt für Erwachsenen- und Kindesschutz führt die Fachstelle Häusliche Gewalt. Auf dieser Seite erfahren Sie Wissenswertes zum Thema Häusliche Gewalt und zum Angebot der Fachstelle.

Fachstelle Häusliche Gewalt
Zwangsheirat

Sind Sie von Zwangsheirat betroffen? Kennen Sie eine Person, die von Heiratszwang betroffen oder bedroht ist? Die Fachstelle Zwangsheirat bietet kostenlose Beratung und Coaching für Fachpersonen zu Zwangsheirat, Liebesverbot, Heiratszwang, Zwangsehen sowie Zwangsverlobungen an.

Zwangsheirat

Schweigen hilft nicht, sprich über Gewalt.

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